Naturschutzforum macht auf die Bedrohung der Oder-Seitengewässer bei ansteigenden Wasserständen aufmerksam
Slonsk. Das katastrophale Fischsterben an der Oder dürfte Folgen haben, wenn es im Herbst erst einmal wieder zu normalen bis höheren Wasserständen kommen wird. Dann wird es nach Auffassung von Vertretern des Naturschutzforum Deutschland (NaFor) vermehrt zum Austausch des Oder-Wassers mit Wasserkörpern aus den Nebengewässern kommen. Das ist zurzeit wegen der Niedrigwasserstände noch nicht eingetreten. Umso mehr muss dafür Sorge getragen werden, dass negative Einflüsse des Oderwassers auf die Nebengewässer verhindert oder eingegrenzt werden.
Noch ist die Ursache für das Fischsterben nicht abschließend geklärt. Laut Hinweisen von Sascha Maier und Christian Wolter vom BUND fällt die massenhafte Vermehrung der einzelligen, geißelbeweglichen Alge Prymnesium parvum auf. Nachgewiesen wurden 200 Mikrogramm pro Milliliter mit mehr als 100.000 Zellen. Diese Algenart ist als Giftbildner bekannt, die bei Massenauftreten Fischsterben verursacht (Linne von Berg[1]). Bei den Toxinen, die sie produziert, handelt es sich vor allem um hämolytische Galactolipide. Als mixotrophe, d.h. auch Photosynthese betreibende Alge könnte sie für den festgestellten erhöhten Sauerstoffgehalt des Oderwassers verantwortlich sein. Besonders gut entwickelt sich diese Alge, die eigentlich im Brackwasser vorkommt, bei hohen Salzgehalten und hohen pH-Werten. Beide Parameter wurden im Oderwasser nachgewiesen. Offensichtlich sind an der Oder mehrere Faktoren zusammengekommen: eine anhaltende Zufuhr von Abwässern aus Industrie, Gewerbe und Siedlungen entlang der Oder, möglicherweise kurzzeitige Einleitungen giftiger Konzentrate aus Papierfabriken, Kläranlagen oder/und fahrenden Tankwagen, hohe Temperaturen, hohe Salzgehalte und pH-Werte und eine daraus resultierende Algenblüte. Die Auswirkungen auf die Fischfauna sind umso schwerwiegender, je niedriger der Verdünnungsgrad infolge des Wassermangels ist. Irgendwann ist der letale Kipppunkt erreicht.
Prognosen, dass sich die ursprünglichen Lebensgemeinschaften in der Oder nach und nach aus den Seitenräumen wieder ansiedeln und aufbauen lassen, so wie es beispielsweise 1986 beim Sandoz-Chemieumfalls am Oberrhein der Fall war, sieht das Naturschutzforum kritisch. Die Gefahr für die ökologische wertvollen Seitenräume wird dabei außer Acht gelassen. Es muss vermieden werden, die Oder-Seitenräume zu früh als Flächenfilter zu nutzen und sie ebenfalls zu kontaminieren. Mitarbeiter von NaFor waren langjährig mit Biologen der Universität Poznan (Posen) daran beteiligt, dass der Nationalpark Slonsk – Kostryn entlang der Wartha ökologisch aufgewertet wurde. Sollten belastete Wasser- und Schlammfrachten sowie diffuse Schwebstoffe in Zeiten wiederansteigender Wasserstände in dieses wertvolle Wasservogelbiotop eindringen, könnte es zu eingeschleppten weiteren Belastungen oder Vergiftungen in Nahrungsketten kommen. Betroffen wären allein ca. 180 Tausend Wildgänse im Winterquartier, aber auch Tausende von Enten, Watvögeln, Reihern, Kormoranen, Bibern und die gesamte reiche Wasservegetation und Gehölze der Weichholz-Auenlandschaft. Es bedarf also schon jetzt im Kontaktbereich der Nebenflüsse der notwendigen Schwellen und Sperren, um die Lebensgemeinschaften ganzjährig zu schützen. Dazu zählt auch die gesamte Palette des Phyto- und Zooplanktons der Nahrungskette, die im Austausch mit dem Flussbett und Niederungsgründen steht.
[1] K.-H. Linne von Berg u.a. (2012): Der Kosmos-Algenführer, Franckh Kosmos Verlag, Stuttgart, 368 Seiten
Was ist jetzt zu tun? Zum einen sind kurzfristig Sofort-Maßnahmen umzusetzen, wie sie bereits in Regie der Bundesländer bzw. der Wojewodschaft Westpommern mit Unterstützung der Feuerwehren, des THW und der Vereine und Anlieger laufen. Das müsste jedoch besser koordiniert werden (in Polen wurde die Armee damit beauftragt). Zum anderen ist kurz- bis langfristig die gesamte Palette der Abwassertechnik zu installieren. Verendete Tiere sind weiterhin kontinuierlich einzusammeln und zu verbrennen. Bislang wurden mehr als 100 Tonnen Fischkadaver auf deutscher und polnischer Seite eingesammelt.
Notwendig ist ein Messstellennetz mit automatisierter Probenahme und Auswertung wichtiger Parameter wie bspw. Sauerstoffgehalt, Leitfähigkeit, Nitrat, Schwermetalle und organischer Schadstoffe, speziell Pestizide. Folgen muss eine unverzügliche Meldung erster Anzeichen von Belastungen an eine zentrale, internationale Expertengruppe, die die Situation umgehend bewertet und Informationen an die zuständigen Behörden und Gebietskooperationen (gem. EU-Wasserrahmenrichtlinie) auf beiden Seiten der Oder weiterleitet.
Ähnlich wie entlang der Küstengewässer üblich, bedarf es im Mündungsbereich der Seitengewässer effektiver Schleusungs- und Sperrsysteme, die aufsteigenden laichbereiten Organismen die Passage ermöglichen, die Seitenräume im Hinterland jedoch durch Sperrtore vor eindringenden Fluten aus Hochwasser-Ereignissen schützen. Hier verfügen die staatlichen Fachbehörden (StALU u.a.), Forschungsinstitute sowie Wasserverbände, aber auch zahlreiche Fischerei- und Angelvereine über einschlägige Erfahrungen und Anwendungsbeispiele.
Mittelfristig ist ein Programm zum Ausbau aller Kläranlagen im Einzugsgebiet der Oder zu konzipieren und umzusetzen. Das schließt auch die Steigerung der vorhandenen Klärstufen bis zum Ausbau von Absetz- und Schönungsteichen ein. Auf eine weitere Kanalisation der Oder ist zu verzichten. Bund und Länder haben auf diese Umweltkatastrophe an der Oder zu spät reagiert. Sie sind nun für die Revitalisierung verantwortlich, damit sich wieder lebensfähige Ökosysteme einstellen. Davon hängt auch die Zukunft des an die Oder gebundenen Tourismus, der Fischerei, des fischverarbeitenden Gewerbes und der anrainenden Viehhaltung ab, die zu entschädigen wären. Wann das in welchem Umfang der Fall sein wird, bleibt abzuwarten und hängt auch vom politischen Willen ab, so die Meinung des Naturschutzforums.
Weitere Informationen unter www.nafor.de
Institutionen für den Bereich des westlich gelegenen Oder-Ufers:
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV),10117 Berlin, www.bmuv.de
Internationale Kommission zum Schutz der Oder gegen Verunreinigung (IKSO), Wrocław (Breslau), www.mkoo.pl
Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landes Brandenburg (MLUK), 14467 Potsdam, www.mluk.brandenburg.de
Ministerium für Klimaschutz, Landwirtschaft, ländliche Räume und Umwelt Mecklenburg-Vorpommern, 19061 Schwerin, www.regierung-mv.de
Staatliche Ämter für Landwirtschaft und Umwelt Mecklenburg-Vorpommern (StALU), 17033 Neubrandenburg, www.stalu-mecklenburgische-seenplatte.de
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), 12587 Berlin, www.igb-berlin.de
Institut für Binnenfischerei e.V., 14469 Potsdam-Sacrow, www.ifb-potsdam.de