Extensive Waldweide schafft neue Probleme

NaturschutzForum: Keine weitere Möblierung und keine Haustiere im Wald

Hannover, 12. Mai 2010. Die Diskussion um die Zukunft der deutschen Wälder hält an. Das könnte auch einen Niederschlag bei der Novellierung des 35-jährigen Bundeswaldgesetzes haben, wie es gerade von den Bündnis 90 / Die Grünen im Bundestag gefordert wurde (PM v. 7. Mai / MdB Cornelia Behm). Nach Auffassung des Präsidenten des NaturschutzForums Deutschland (NaqFor), Professor Remmer Akkermann, ist umstritten, welche Funktionen ein Wald vornehmlich haben soll und wie viel Nutzung noch verträglich ist. Die Grenzen der Belastung durch flächenhafte Entwässerung, Orkanschäden, Einrichtung neuer Wege, Überlastung bestehender Wege durch höhere Besucherzahlen, sportliche Einrichtungen und Aktivitäten sowie Holzproduktionsplantagen seien vor allem in der norddeutschen Tiefebene erreicht oder überschritten.

Die Befeuerung mit Holzschnitzeln auf der Grundlage von Pellets mündete schon vor Jahren in der Frage, ob die Förderung schnellwachsender Weichlaubhölzer im Kurzumtrieb geeignet sei, den Bedarf an alternativen Brennstoffen auf diesem Wege teilweise zu kompensieren. Die Grenzen im Hinblick auf vorhandene Kapazitäten, Aufwuchszeit und Luftbelastung zeigten sich bald.

Da es sich bei der Waldbewirtschaftung um eine zumeist defizitäre Jahrhundertaufgabe handelt, wurde überlegt, ob nicht mit einer Waldweide die Kosten zu senken und zugleich die Artenvielfalt gehalten, wenn nicht erhöht werden könnte. Dazu liegen zahlreiche Beispiele aus der Praxis vor. Die Projektleiter sprechen sich oft positiv zur Haltung von Weidegängern (Herbivoren) wie halbwilden polnischen Pferden (Koniks) und Heckrindern (moderne Hausrinder in optischer Nachempfindung des ausgestorbenen Auerochsen) aus. Das zeigen Versuche im Solling und in der Lippeaue (ABU), aber auch Beweidungen in den Niederlanden mit Tarpan-ähnlichen Pferden und Lakenrindern (natuurmonumenten in Sellingen, O-NL) sowie in England.

Auch im Mitgliederkeis von NaFor fanden Beweidungsversuche im Einzugsbereich von Hunte und Hase statt. Dabei ergab sich, dass sich Landschaftspflege auf dieser Basis nicht rechnet. Was die Verträglichkeit von Heckrindern anbetrifft, so können darunter auch aggressive Bullen sein, deren Haltung ein finanzielles und/oder Haftungsrisiko mit sich bringt. Da seien die schottischen Hochlandrinder (Galloways) friedlicher.

Ein ähnliches Problem könnte sich bei der Haltung von Wisenten ergeben (Beispiel: wegen der Einzäunungsfrage fehlgeschlagener Versuch im Eleonorenwald / Emsland), Rothaargebirge (Wisentbüro Bad Berleburg). Diese urtümlichen Tiere gehören durchaus in unsere Landschaft, allerdings nur in größerflächige Wälder, die es im Norden und an vielen anderen Stellen nicht mehr gibt. Dem entsprechen eher die polnischen Wisenthaltungen in Bialowieza, wo im Winter zugefüttert werden muss.

Nach Aussagen des NaturschutzForums schließt sich eine Waldweide dort aus, wo wertvolle Baumbestände, zum Beispiel alte Eichen (wie im Urwald Hasbruch zwischen Bremen und Oldenburg), gegen Naturaufwuchs durch schnell(er)wüchsige Bäume wie zum Beispiel Buche geschützt und eine wertvolle Krautschicht entsprechend dem oberflächennahen Bodenwasserstand erhalten werden sollen. In diesen Fällen sollten die entsprechenden Pflegemaßnahmen von Seiten des Eigentümers oder Beauftragter gelegentlich selektiv manuell bis maschinell durchgeführt werden.

Auch eine nur geringe Zahl von Rindern, Pferden oder Ziegen verändert im Wald mitsamt seinen Freiflächen den Charakter grundlegend. Sehr bald gibt es pflanzensoziologisch unerwünschte Schäden durch Tritterosion, auch im Uferbereich von Gewässern, werden Bäume an Stamm und Wurzeln abgeschält, die Unterseite der Kronen auf gleiche Höhe abgefressen und der Waldboden verkahlt. Vielfach kann man unter den Kronen hindurch sehen oder / und es entstehen starke Trittschäden an Versammlungsplätzen der Tiere und entlang ihrer Pfade. Eine solche Parklandschaft, wie sie auch für Südengland (New Forest) und Thüringen (Finsterhagen) beschrieben wird, ist kein geeignetes Entwicklungsziel für alte Wälder, deren Sukzession bis hin zum urwaldartigen Charakter erhalten werden soll. Der Bezug auf die historische Hutewaldwirtschaft ist da fehl am Platze, da das seinerzeit aus der Not und überwiegend mit Schweinen erfolgt ist und die Krüppel-(Kratt-) Eichen noch heute vom massiven allround-Verbiß zeugen.

Damit rückt die traditionelle Funktion des Waldes als Schutz wald, auch zugunsten der Trinkwassergewinnung, wieder stärker in den Vordergrund. Prof. Akkermann sieht eine große Chance, dass sich insbesondere die Staatswälder im Sinne von gelegentlicher Einzelstammentnahme (Plenterwirtschaft) und Wachsenlassen in Richtung ökologisch wertvoller Altbestände oder als unangetastete Urwälder entwickeln. Beweidungen seien oft verzichtbar, da ökologisch nachteilig, Auch die mit der Beweidung (angeblich) auftretende größere Artenvielfalt sei kein Gewinn; denn seltene, an Althölzer gebundene wirbellose Arten wie der Eremit seien durch solche der Dungfauna nicht kompensierbar. Es sei überdies wenig überzeugend, wenn Angehörige der privaten Wirtschaftswälder Vorschläge für zoo-artige Eingatterungen im öffentlichen Staatsforst machen. Denn die alten Wälder sollten vor allem jenen Besuchern offen stehen, die den urtümlichen Wald mit seinen natürlichen Bewohnern mit allen Sinnen erleben wollen, die unverhältnismäßig starke Möblierung durch Infotafeln, Zäune und Geländer für verzichtbar halten und Haustiere im Wald als störend empfinden.

Verantwortlich: Rieke Hobbie

Literaturhinweis:

  • Schröpfer, R. (2008): Der Wisent.- BSH/NVN – Ökoporträtt 44, 8 S.
  • Sprossmann, H. (2009): Extensive Waldweide in Thüringen – Waldfrevel oder ein innovatives Landnutzungsmodell ?- Forst u. Holz 64 (2), 32-37
  • Weber, H.E. (1986): Waldumwandlung durch Beweidung in Niedersachsen.- Nat.u.Landsch. 61 (9), 330-333