Ist die Kinderstube der europäischen Aale bedroht ?

NaturschutzForum: Erstes Öl schwenkt in Richtung Golfstrom ein

Hannover, 04 Juni 2010. Die Ölkatastrophe am Golf von Mexiko kann die europäischen Küsten möglicherweise erreichen, obwohl das die Entfernungen kaum vermuten lassen. Nach Auffassung des NaturschutzForum Deutschland (NaFor) ist nicht auszuschließen, dass der Golfstrom das Öl und seine schwimmenden oder schwebenden Umwandlungsprodukte über den Nordatlantik bewegt. Damit könnten die nach Europa auf dem gleichen Wege wandernden Aallarven und das Plankton betroffen sein.

Bild Aal

Der mit dem Netz gefangene Flussaal hat schon als Larve etwa 4000 km im Golfstrom überwunden. Sie ist durch Kontakt mit Rohöl gefährdet. Im Alter von 6-7 Jahren schwimmen die ausgewachsenen Blankaale zur Sargasso-See zurück. Dort sterben sie nach dem Laichen. Foto: BSH

Als Ausdruck der Kontinentalverschiebung nutzen die europäischen Flussaale wohl seit Jahrmillionen die angestammten Laichgebiete in der atlantischen Sargassosee etwa 1.400 km östlich des Cape Canaveral (Florida). Alttiere wandern alljährlich dorthin. Im März bis April sind dann die ersten ca. 5 mm großen Aallarven in der durchlichteten Wasserschicht der Sargasso-See in 100 bis 300 m Tiefe anzutreffen, darunter folgen noch etwa 6 km Ozeantiefe. Wie auch andere Meerestiere sind Aallarven durchsichtig, um nicht gleich als Beute aufzufallen. Sie ernähren sich von Plankton und werden über den Golfstrom in drei Jahren etwa 4000 km quer über den Atlantik transportiert. Wenn sie die deutschen Flussmündungen als Glasaale erreicht haben, sind sie auf etwa 65 mm Länge herangewachsen.

Das betroffene Gebiet des subtropischen Atlantiks ist etwa 8 Millionen qkm groß. Es beherbergt weiträumig oberflächennahe treibende Wiesen aus dem Sargasso-Kraut. Schon Kolumbus berichtete über solche Wälder aus Beerentang. In diesem großflächigen Ökosystem leben Milliarden von kleineren und größeren Organismen des Phyto- und Zooplanktons, darunter neben den Tangen und anderen Algen auch nur hier anzutreffende Garnelen und Krabben, Seenadeln und Seepferdchen, Fetzenfische und Seeschildkröten. Vor allem die kleineren Formen zeichnen sich teilweise durch große Oberflächen und Extremitäten aus, um sich zu tarnen oder unter geringem Aufwand fortzubewegen oder passiv verdriftet zu werden.

Die durch das Leck der BP-Ölbohrung der am 20. April explodierten Plattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko ausgetretenen Rohölmengen belaufen sich täglich auf etwa 3 Millionen Liter (n. US-Reg. 27. Mai), inzwischen ist schon die dreifache Ölmenge der 1989 vor Alaska havarierten Exxon Valdez (seinerzeit = 41 Mio. Ltr. Öl) ins Wasser des Golfs gelangt, die ersten Ölanschwemmungen haben jetzt die Strände von Süd-Florida erreicht. Da es noch lange dauern kann, bis der Öl-Austritt gestoppt ist, muss davon ausgegangen werden, dass das Öl mit dem Golfstrom auch über den Atlantik bis ins Nordmeer transportiert wird. Das wäre eine bislang noch nicht gekannte Dimension einer globalen Ölverschmutzung.

Die Biosphäre wäre auf das Schwerste von den Auswirkungen betroffen. Während bislang schon die ozeanweite Vermüllung mit schwebenden Plastikteil(ch)en vielen Seevögeln, Schildkröten, Fischen und Filtrierern zu schaffen macht, ist die marine Biosphäre bei Anwesenheit sich ausdehnender Ölteppiche mehr oder weniger stark bedroht. Gerade die Lebensgemeinschaft des Sargassokrauts steht im ständigen Gas- und Nahrungsaustausch mit der Umgebung. Damit wären auch die Kinderstube und Wanderwege unserer Aale betroffen.

Ob es wie und in welchem Maße so kommen wird, bleibt abzuwarten. Auch angesichts kritischer Probleme im Bereich der zahlreichen Bohrplattformen in der nördlichen Nordsee kann keine Entwarnung gegeben werden.

Verantwortliche: Remmer Akkermann (Nafor)

Weitere Informationen:

  • De Haas, W. & Knorr, F. (1999): Was lebt im Meer an Europas Küsten ?- 390 S., A. Müller, Rüschlikon-Zürich
  • Fuchs, C. u.a. (2010): Der BP-Skandal – Anatomie einer der größten Umweltkatastrophen – Stern 23 24-50
  • Hujer u.a. (2010): Subprime am Meeresgrund.- Spiegel 22: 128-133
  • Muus, B.J. & Dahlström, P. (1985): Meeresfische der Ostsee, der Nordsee, des Atlantiks. 5. Auflage. BLV, München
  • Scheufele, U. (2010): Neues Arktis-Beobachtungssystem auf Spitzbergen nimmt Gestalt an. SIOS-Projekt im Sustained Arctic Observing Network (SAON).- Start: 1. 09. 2010, Koop. Int. / VDI-TZ, Berlin
  • Wilms, V. u.a. (2010): Gefahren der Ölförderung in deutschen und europäischen Meeren.- Kl. Anfrage, Dt. Bundestag Drs. 17/ (noch ohne Nummer, Antwort steht noch aus)